Schlafen Fische?

von Jens Raschke

Jette ist gerade zehn geworden. Ihr Papa sagt, das nennt man zweistellig. Es gibt Leute, die werden sogar dreistellig. Einhundert Jahre. Und noch mehr! Jettes Bruder Emil ist nur sechs geworden. Das ist bloß einstellig. Emil war ihr kleiner Bruder. Er war sein ganzes Leben lang krank. Vor einem Jahr ist er gestorben. Manchmal geht Jette auf den Friedhof und erinnert sich an Emil, an sein Lachen, seine Träume und wie sie auf der Beerdigung seinen Sarg bunt angemalt haben.
Sie fragt sich: »Warum müssen Menschen sterben? Was kommt nach dem Tod? Geht es Emil jetzt besser?« All das hat sie auch ihren Vater gefragt. Aber der weiß auf viele Fragen auch keine Antwort. Das hat Jette längst gemerkt. Als sie in einem Urlaub in Dänemark zusammen einen Staudamm gebaut haben, fragte sie, ob die Fische hinter der kleinen Staumauer nicht nach Hause müssen zum Schlafen? Schlafen Fische überhaupt? Wusste
der Vater nicht. Auch nicht, ob Blindschleichen niesen. Die schwarzen Wolken, die sich nach dem Tod ihres Bruders in Jette ausgebreitet haben, werden jetzt, ein Jahr später, langsam heller. Ob sie eines Tages richtig weiß werden? Keine Ahnung! Aber vielleicht müssen sie das ja gar nicht.

Der Tod wird im Kindertheater häufig thematisiert: »Aber selten so einfühlsam, wie es Jens Raschke gelingt«, würdigt Paul Maar. Raschke hat ein undogmatisches, zuweilen sehr heiteres und manchmal auch trauriges Einpersonenstück über eines der letzten Tabuthemen unserer Zeit geschrieben. Ein Stück über den Umgang mit den kleinen, großen und letzten Fragen des Lebens.