The whole Truth about Lies
von Nico and the NavigatorsEinmaliges Gastspiel
Vorab: »Dieser Satz ist falsch!« Denn wer die ganze Wahrheit über Lügen sucht, wird im Paradoxon fündig – oder im Theater, wo die erhoffte Erkenntnis auf einer verabredeten Täuschung basiert.
Einen »rauschhaft-eklektischen Musiktheater-Abend mit großer kultur-historischer Brennweite, aber immer auch auf die Gegenwart bezogen« nannte die Berliner Morgenpost diese Produktion. Von den »dunklen Tiefen des klassischen Erbes und der glitzernden Oberfläche aktueller Musik« schrieb Klassik Heute und vom »Meisterspiel der Sinne« Faust Kultur. In diesem bildstarken Musiktheaterabend gilt das Interesse u. a. der stärksten Waffe populistischer PolitikerInnen: der Lüge. Wie effektiv sich dieses uralte Mittel zur Macht einsetzen lässt, hat zuletzt die Präsidentschaftswahl in den USA gezeigt, in der ein schamloser Lügner triumphierte. Aber auch andernorts erstarken rechtsnationale Kräfte oft mit dem gezielten Einsatz von Unwahrheiten, Desinformation und Fake News. Selbst sicher geglaubte demokratische Bündnisse und Abkommen erscheinen mit Blick auf die aktuelle Weltlage alles andere als verlässlich.
In dieser Arbeit wird die Bühne in einen Lügendetektor verwandelt. Optisch wird die Wahrnehmung durch die Verbindung von alten Theaterillusionen und neuen KI-Technologien auf die Probe gestellt. Hier überrascht die Illusion selbst dann, wenn man bei ihrer Verfertigung zusehen und die Funktionsweise im halbtransparenten Spiegelkabinett des Bühnenraumes buchstäblich durchschauen darf. Welch eine Dynamik ein stabiler Trick in Verbindung mit fortschreitender Technologie entwickeln kann, versetzte allerdings selbst die Urheber dieser Versuchsanordnung bei den Proben in Erstaunen: Die digital veränderten Figuren werden von analogen Flächen reflektiert, das Bild überlagert den Gegenstand … ach, das muss man selber sehen!
Die Inszenierung erzählt von Selbsttäuschung und Fremdbestimmung, von falschen Versprechen und entlarvenden Gesten. Es geht – mal augenzwinkernd, mal nüchtern – um die Wahrheit als abstrakte Größe, die im Privaten wie im Politischen existenzielle Wirkung entfalten und ungeahnte Katastrophen herbeiführen kann. Dabei verschwimmen die Grenzen zwischen echten Körpern und falschen Bildern ebenso wie zwischen den Genres – zwischen Barock und Pop, zwischen Gesang, Tanz und Text. Während Rossinis »La callunia« als meteorologische Umschreibung einer von fern heraufziehenden Verleumdung unmissverständlich sein dürfte, ist die Puppen-Arie der Olympia aus »Hoffmanns Erzählungen « eher eine Vorahnung heutiger Trugwelten, in denen künstliche Kreaturen von echten Gefühlen singen. Aber auch Fleetwood Macs »Tell Me Lies« oder John Lennons »Give Me Some Truth« erzählen von den Hürden, die es im Dschungel der Lügen zu überwinden gilt.