Poem an Minotaurus / Le Sacre du Printemps

Zweiteiliger Tanzabend von Stephan Thoss | Musik von John Adams und Igor Strawinsky
Gastspiel Nationaltheater Mannheim Tanz

Das Nationaltheater Mannheim Tanz, seit vielen Spielzeiten dem Theater Heilbronn eng verbunden, präsentiert noch einmal einen großen Tanzabend von Ballettintendant Stephan Thoss, an dem die Compagnie ihre ganze Meisterschaft zeigen kann.

Der Doppelabend »Poem an Minotaurus« und »Le Sacre du Printemps« stellt zwei außergewöhnliche Künstler des 20. Jahrhunderts in den Mittelpunkt, die ihre jeweilige Kunstform revolutioniert haben und als Schlüsselfiguren der Moderne gelten. Was Pablo Picassos Kunst an bahnbrechenden Neuerungen für die Malerei bedeutete, brachte Igor Strawinsky an radikalen Modernisierungen für die Musik. Sie waren Freunde, die seit dem Zusammentreffen beim legendären »Ballets Russes« 1917 in Paris eng zusammengearbeitet und sich gegenseitig beeinflusst hatten. Was liegt also näher, als diese zwei Künstlerpersönlichkeiten, die gemeinsam für den Tanz gearbeitet haben, der eine als Bühnen- und Kostümbildner, der andere als Komponist, mit diesem Tanzabend zu würdigen? Ihr Wirken ist bis heute wegweisend und hat auch den Choreografen Stephan Thoss seit vielen Jahren begleitet.

Den Auftakt des Abends bildet das 30-Minuten-Stück »Poem an Minotaurus«, in dem Stephan Thoss seinen poetischen Assoziationen zu Pablo Picasso Raum gibt. Keine Figur findet sich so oft in Picassos Bildern wie der Minotaurus aus der griechischen Mythologie, jenes Wesen mit menschlichem Körper und Stierkopf, dessen Gestalt Vitalität und Energie, aber auch Potenz, Gier und Triebhaftigkeit verkörpert – Ausdruck für das Charisma und das Geheimnis, das Picasso umgab. »Poem an Minotaurus« darf als Ode an einen faszinierenden Künstler und sein Werk verstanden werden, dessen unbändige Leidenschaft der Choreograf mit seiner Arbeit einfängt.

»Le Sacre du Printemps« ist zum Synonym für den spektakulären Startschuss ins moderne Tanzzeitalter geworden – vom Uraufführungsskandal 1913 bis zu den ungezählten choreografischen Zugriffen, die das Stück seither erfahren hat. Stephan Thoss lässt sich bei seiner Choreografie allein von Strawinskys Musik anregen, nimmt das  choreografische Potential ausschließlich aus dem Klang und erstellt eine optische Partitur, bei der der Rhythmus den Vorrang vor der Melodie hat. Die Musik entstand im Zeitalter der Industrialisierung, Strawinsky ließ sich von Maschinenbewegungen inspirieren. Die Tänzerinnen und Tänzer verwandeln sich in ihren silbrig  glänzenden Trikots selbst in eine unermüdliche Armee von Maschinen, die die anatomischen Leistungsgrenzen des Körpers ausloten und überschreiten. Mit diesem Doppelabend tritt Thoss den Beweis an, wie modern, eigenwillig und zeitlos seine choreografische Handschrift ist, und was für ein besonderes Ensemble er um sich geschart hat.