Der zerbrochne Krug
Lustspiel von Heinrich von KleistDorfrichter Adam sieht übel aus, als sein Gerichtsschreiber Licht am Morgen bei ihm vorbeischaut. Zwei Wunden am Kopf, eine Verletzung am Bein – woher hat er die nur? Der Richter weiß wortreich die Herkunft seiner Wunden zu begründen. Sei’s drum. Licht hat schlechte Nachrichten. Der Gerichtsrat Walter ist auf dem Weg in ihre Gemeinde, um die Kassen zu prüfen und die Rechtspflege auf dem platten Land zu verbessern. Sein strenger Ruf eilt ihm voraus. Er hat andernorts schon so manchen Schludrian im Richteramt suspendieren lassen. Ausgerechnet heute kann Richter Adam seine Perücke nicht finden. Und letzte Nacht quälte ihn der Traum, er müsse über sich selbst zu Gericht sitzen. Am liebsten würde er sich vor dem heutigen Gerichtstag drücken. Aber da ist Gerichtsrat Walter auch schon eingetroffen, und die Kläger streiten sich bereits lautstark im Vorraum.
Frau Marthe Rull erhebt Klage. Ein Krug ist ihr zerschlagen worden, der im Zimmer ihrer Tochter Eve stand. Nachts habe sich ein Mann zu Eve geschlichen und, als er aus dem Fenster floh, den Krug zerbrochen. Für Marthe Rull ist der Fall klar: Der Ruprecht war’s, der Verlobte ihrer Tochter, der schon vor der Eheschließung von den süßen Früchten der Liebe kosten wollte. Ruprecht indes ist außer sich vor Zorn, leugnet die Tat und bezichtigt Eve, einen fremden Mann in ihre Kammer gelassen zu haben. Die junge Frau fleht ihren Verlobten an, ihr doch zu vertrauen. Und Marthe Rull zetert und schimpft wie ein Rohrspatz. Eigentlich bräuchte dieses Tohuwabohu eine strenge richterliche Hand. Aber dem Richter Adam ist die Verhandlung sichtlich unangenehm. Er stellt merkwürdige Fragen, zieht absurde Schlussfolgerungen. Gerichtsrat Walter kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass dieser Adam mehr daran interessiert ist, die Dinge zu verschleiern als hinter das Geheimnis des zerbrochnen Kruges zu kommen. Wie es dann schlussendlich doch enthüllt wird, ist ein irrwitziges Spektakel.
Heinrich von Kleists »Der zerbrochne Krug« von 1808 ist ein Meilenstein der deutschen Theatergeschichte. Das Lustspiel revolutionierte mit seiner innovativen Struktur, den schnellen Dialogen und seinem doppelsinnigen Witz die Komödie des frühen 19. Jahrhunderts. Kleists Theaterstück verbindet auf einzigartige Weise tragische Themen wie Machtmissbrauch und Vertrauensverlust in öffentliche Institutionen mit Sprachwitz und volkstümlichem Humor. Ab 1820 eroberte »Der zerbrochne Krug« die Theaterbühnen im Sturm. Heute zählt das Lustspiel um den Dorfrichter Adam, der über seine eigenen Missetaten zu Gericht sitzen muss, zu den am häufigsten aufgeführten Stücken im deutschsprachigen Raum und ist mit seinen schrägen und mit deftigem Strich gezeichneten Charakteren auf der Bühne ein Theaterereignis.
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Harry Schmidt | Ludwigsburger Kreiszeitung | 02.11.2025
[...] Axel Vornam bleibt in seiner vorletzten Inszenierung am Theater der Käthchenstadt [...] nah an Kleists Komödientext, scheut auch vor derb-infantiler Komik [...] und Slapstick-Momenten nicht zurück, lässt aber keinen Moment Zweifel daran aufkommen, dass es ihm um eine zeitlos-zeitgemäße Lesart der Enthüllungsgeschichte zu tun ist, für die Kleist die Ausgangslage von Sophokles' analytischem Drama "König Ödipus" umgekehrt hat: Wie jener sitzt Adam über sich selbst Gericht, was ihm aber wie den Zuschauern (und bald auch Gerichtsrat Walter) überaus bewusst ist. Vornams Überzeugung, dass Machtmissbrauch, Scheinheiligkeit und Doppelmoral kein Schnee von gestern, sondern ausgesprochen aktuelle Themen sind, bezeugt auch die Ausstattung von Tom Musch, dessen Kostüme von den Sechzigerjahren bis - wie im Fall des Angeklagten Ruprecht (Felix Lydike) - in die Gegenwart "unserer Zeit" entsprechen. [...]
Ranjo Doering | Heilbronner Stimme | 03.11.2025
[...] Vornam lässt das Ganze in einem großen Raum spielen, der gleichzeitig Adams Wohnung und Gerichtssaal ist, und von einer mit Akten vollgestopften Registratur dominiert wird (Ausstattung: Tom Musch). Das Ensemble zeigt sich spielfreudig, die kurzweilige Inszenierung von Kleists Parabel über Macht und Ohnmacht ist temporeich und recht klassisch gehalten – der eine oder andere mutigere Verweis Richtung Aktualität hätte aber sicher gut getan. Das Stück fängt aber die Unsicherheiten, das Misstrauen, die Präpotenz ein. Dankbarer Applaus vom Premierenpublikum nach zwei Stunden und zwanzig Minuten (mit Pause).
















14.12.2025
18.12.2025
21.01.2026