Gott wartet an der Haltestelle
von Maya Arad YasurDeutsch von Matthias Naumann
An einem Checkpoint zwischen Israel und dem Westjordanland stehen einander zwei junge Frauen gegenüber: die israelische Soldatin Yael und die palästinensische Krankenschwester Amal. Yael lässt Amal durch, ohne Passierschein, was eigentlich streng verboten ist. Als Soldatin trage sie an dieser Grenze die Verantwortung für ein ganzes Land, haben die Vorgesetzten Yael eingeschärft. Aber Amal hat einen dicken Bauch, ist allem Anschein nach schwanger und für niemanden eine Gefahr, denkt Yael und widersetzt sich dem Befehl. Wenig später reißt Amal durch einen Selbstmordanschlag in einem Restaurant in Israel dreißig Menschen mit in den Tod. Wer trägt nun die Schuld? Yael, die Amal ohne Passierschein die Grenze überqueren ließ? Der Taxifahrer, der Amal ins Restaurant brachte, obwohl sie auch ihm keine Legitimation vorlegen konnte? Oder ist es die Situation von Amals Familie, die ihr Haus in Haifa verlassen musste und in einem palästinensischen Flüchtlingslager lebt? Dort wurde Amal geboren. Hier spielen schon die Kinder »Terroristen« und »Soldaten«.
Amal ist Krankenschwester geworden, um den Menschen zu helfen. Ihr Bruder dagegen hat sich radikalisiert und gehört einer palästinensischen Terrorgruppe an. Er wird vom israelischen Geheimdienst liquidiert und seine ganze Familie unter Generalverdacht gestellt. Deshalb gibt es für Amal und ihren schwerkranken Vater keine Passierscheine und damit auch keine Chance auf eine adäquate medizinische Versorgung für den alten Mann. Ist es die Verbitterung über die ausweglose Situation, die Amal zu ihrer verzweifelten Tat getrieben hat?
In zahlreichen Rück- und Vorblenden untersuchen die Figuren in Maya Arad Yasurs Drama »Gott wartet an der Haltestelle« die Gründe für das Selbstmordattentat und machen anhand von ganz persönlichen Schicksalen den Nahostkonflikt, für den es seit rund 100 Jahren keine Lösung zu geben scheint, erfahrbar. Was macht eine Atmosphäre permanenter Angst mit einer Gesellschaft? Wie leben die Israelis mit ihrer Furcht vor Anschlägen? Wie verzweifelt sehnen sich die Palästinenser in ihre Häuser zurück? Der Text fragt, wo in der Kette der Ereignisse Augenblicke gewesen wären, in denen die Katastrophe noch hätte abgewendet werden können. Es gibt keine Einordnung der Menschen in Opfer und Täter. Beide Seiten kommen gleichberechtigt zu Wort; es geht nicht um Schuld, sondern um den Versuch, die Formel des Hasses zu entschlüsseln.
Die Autorin Maya Arad Yasur wurde 1976 in Israel geboren. Sie lebte und studierte fünf Jahre in Amsterdam, ehe sie 2012 nach Israel zurückkehrte. Heute arbeitet sie als Dramatikerin und Dramaturgin in Tel Aviv. Ihr Stück »Gott wartet an der Haltestelle« entstand im Rahmen des TERRORismus-Projekts der Union des Théâtres de l’Europe.