Die letzten Tage der Menschheit

Tragödie in fünf Akten mit Vorspiel und Epilog | von Karl Kraus

Die unwahrscheinlichsten Taten, die hier gemeldet werden, sind wirklich geschehen; ich habe gemalt, was sie nur taten. Die unwahrscheinlichsten Gespräche, die hier geführt werden, sind wörtlich gesprochen worden; die grellsten Erfindungen sind Zitate …«
Das schreibt Karl Kraus, einer der größten Publizisten und Schriftsteller Österreichs, gleich im Vorwort zu seinem Dramenmonument »Die letzten Tage der Menschheit«, in dem er sich mit dem Ersten Weltkrieg auseinandersetzt. Das Besondere: Kraus widmet sich darin nicht der Hölle an der Front. Der Fokus liegt vielmehr auf jenen, die aus sicherer Entfernung im Hinterland den Ersten Weltkrieg erleben, verfolgen, bejubeln und davon profitieren. Tragisches und absurd Komisches gehen dabei Hand in Hand. Über ein Viertel des Textes ist Originalmaterial aus Zeitungen, militärischen Tagesbefehlen, Gerichtsverfahren, Briefen, Predigten und Gesprächen seiner Zeitgenossen. Es handelt sich dabei um keine stringente Handlungsabfolge, sondern um 220 Szenen mit realen Figuren. Mit dabei sind die Kaiser Franz Joseph und Wilhelm II., Soldaten, Pastoren, Journalisten und Zeitungsabonnenten und viele mehr. Die Zitate offenbaren gedankenlose Rücksichtslosigkeit, Dummheit und Verlogenheit. Mit gnadenlosem Wortwitz und bitterer Satire entlarvt Karl Kraus die Unmenschlichkeit und Absurdität des Krieges.
Wir lernen Kriegsberichterstatter kennen, die die Auflagen ihrer Medien durch möglichst sensationslüsterne Schilderungen steigern wollen, und erleben Firmenbesitzer, die Angst vor Frieden haben, weil sie durch den Krieg große Profite einfahren. Offiziere werden vorgeführt, die sich in Sicherheit an Festmahlen laben,während ihre Soldaten verhungern und erfrieren. Verbunden werden die Szenen durch zwei Figuren, die in Streitgesprächen das Geschehen kommentieren. Der Optimist befürwortet den Krieg: »Die Guten werden besser und die Schlechten gut. Der Krieg läutert.« Der Nörgler, dem Karl Kraus seine eigene Position in den Mund legt, verabscheut den Krieg: »Er nimmt den Guten den Glauben, wenn er ihnen nicht das Leben nimmt, und er macht die Schlechten schlechter.« Eine der schlimmsten Illusionen über den Krieg besteht laut dem Nörgler in der Rede von dessen regenerativer Kraft und dem Glauben, die Zivilisation werde aus der Katastrophe erneuert hervorgehen.

Die Botschaft dieses monumentalen Werkes ist klar: Frieden ist das Erfordernis allen politischen Handelns. »Die letzten Tage der Menschheit«, entstanden zwischen 1915 und 1922, gilt heute als einer der bedeutendsten pazifistischen Texte der jüngeren Literaturgeschichte. Er lässt jene Mechanismen erkennen, die Kriege entstehen lassen und am Laufen halten, und macht deutlich, wie sich alle zivilisatorischen Gewissheiten unter dem Einfluss der Propaganda auflösen.